Internationales Erbrecht (IPR) - England und Wales

Großbritanien

Quellen

Internationale Abkommen und Staatsverträge: Washington Convention on International wills (1973); Haager Übereinkommen von 1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende RechtHaager Übereinkommen vom 1. Juli 1985 über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung; Common law, Wills Act 1963,  Wills Act 1837.

Einführung

Mehrrechtsstaat

Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland (United Kingdom, kurz: UK) hat kein einheitliches Erbrecht oder internationales Privatrecht. Vielmehr haben England und Wales, Schottland und Nordirland jeweils ein eigenes Erbrecht und IPR, wobei England & Wales ein einheitliches Recht haben.[1] Nachfolgend werden nur die Bestimmungen des IPR von England und Wales dargestellt. 

Erbrechtliche Fragestellungen

Aus Sicht von England und Wales sind nicht alle Sachverhalte, die aus deutscher Sicht "erbrechtlich" zu qualifizieren sind, dem Erbrecht (succession) zuzuordnen. So wird insbesondere das auf einen Trust (trust) und die die Regeln zur Nachlassabwicklung (administration) anwendbare Recht abweichend bestimmt. 

Nachlassspaltung

Das Internationale Privatrecht von England und Wales unterscheidet im Hinblick auf alle Fragen, die der Rechtsnachfolge von Todes wegen zuzuordnen sind, zwischen

  • dem beweglichen Nachlass (movables) und
  • unbeweglichem Nachlass (immovables). 

Dies wird als Nachlassspaltung (scission) bezeichnet. Beide "Spaltnachlässe" sind im Grundsatz gesondert zu betrachten. Für die Qualifikation eines Gegenstandes als beweglich oder unbeweglich gibt es keine Gesetze und nach dem Fallrecht (common-law), dem insoweit alle common-law Staaten folgen, kommt es auf das jeweilige Belegenheitsrecht (lex rei sitae) an.[2] Aus englischer Sicht sind dabei insbesondere Anteile an einer in England registrierten Gesellschaft, deren Vermögen in Immobilien besteht, bewegliches Vermögen.

Beweglicher Nachlass

Grundsatz

Nach dem englischen IPR, gilt im Grundsatz das Recht des letzten Domizil (domicile) des Erblassers.[3] Nach diesen Prinzipien werden im Grundsatz alle Fragen der Erbfolge (succession) in bewegliches Vermögen, z.B. Erbunwürdigkeit, Erbfähigkeit, Erbquoten, Erbrecht des nichtehelichen und des adoptierten Kindes und seiner Verwandten, Auslegung des Testaments, entschieden.[4]

Testierfähigkeit

Maßgeblich ist das Recht des Domizils des Erblassers. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Errichtung an.[5]

Wirksamkeit der Form nach eines Testaments

Nach dem common-law war das Recht des Domizils des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes allein maßgeblich. Heute wird diese Frage nach dem Wills Act 1963, welche den Wills Act 1861 ersetzte, geregelt. Nach sec. 1 des Wills Act 1963 ist ein Testament der Form nach wirksam, wenn es der Form des Recht

  • des Errichtungsortes,  auch wenn der Erblasser nur zeitweise dort aufhielt, oder
  • des Domizils zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments oder
  • des Domizils zum Zeitpunkt des Todes oder
  • des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments oder
  • des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes oder
  • des Staates der Staatsangehörigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments oder
  • des Staates der Staatsangehörigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes. 

Verweise auf das Recht eines anderen Staates beziehen sich auf das Recht dieses Staates unter Ausschluss des internationalen Privatrechts (Sachnormverweisung).

Materielle Wirksamkeit des Testaments

Fragen der materiellen Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen (essential validity) richten sich nicht nach dem Wills Act 1963, sondern allein nach dem Recht des Domizils des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes.[6] Eine Änderung des Domizils ist allerdings unerheblich.[7] Beispiele von Fragen der materiellen Wirksamkeit die Wirksamkeit einer Schenkung zu Gunsten eines Zeugen bei Testamentserrichtung, Unwirksamkeit wegen Zwang oder Täuschung (duress and undue influence) und die Frage, ob der Begünstigte ein Wahlrecht hat (election). Im Hinblick auf Unterhalt aus dem Nachlass nach dem Inheritance Act 1975 (support) gilt ebenfalls das Recht des Domizils.

Formelle Wirksamkeit des Widerrufs eines Testaments

Neben der Frage der Wirksamkeit der Errichtung regelt der Wills Act 1963 auch den Widerruf einer letztwilligen Verfügung (revocation) durch Errichtung eines Testaments (revocation by later will). Nach sec. 2 [1] [c] Wills Act 1963 kann der Testierende auch wirksam nach dem für die Errichtung maßgeblichen Recht widerrufen, auch wenn er zum Zeitpunkt des Widerrufs nicht mehr in dieser Form testieren konnte (z.B., weil er verzogen ist). Bei einem Widerruf durch Vernichtung  (revocation by destruction of the will) und Widerruf als Folge der Eheschließung (revocation by marriage) ist der Wills Act 1963 hingegen nicht anwendbar und es ist somit auf das Common Law zurück zu greifen. Bei einem Widerruf durch Vernichtung gilt das Recht des Domizils im Zeitpunkt des Widerrufs. Ein späterer Wechsel des Domizils ist irrelevant. Beim Widerruf als Folge der Heirat (z.B. nach englischem Eherecht), entscheidet das Recht des Domizils zum Zeitpunkt der Eheschließung.

Auslegung einer letztwilligen Verfügung

Im Grundsatz gilt das Domizilrecht des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Nach Sec. 4 Wills Act 1963 ist ein Wechsel des Domizils nach Testamentserrichtung unbeachtlich. Bestimmt der Testierende ausdrücklich oder konkludent die Anwendung von anderen Auslegungsregeln, so wird dies akzeptiert.

Unbeweglicher Nachlass

Grundsatz

Nach common-law Prinzipien ist bei unbeweglichem Vermögen im Grundsatz das Belegenheitsrecht (lex rei sitae) im Zeitpunkt des Todes maßgeblich.[8] Nach diesen Prinzipien werden im Grundsatz alle Fragen der Erbfolge (succession) in unbewegliches Vermögen entschieden.

Testierfähigkeit

Nach allgemeiner Auffassung kommt es auf das Belegenheitsrecht (lex rei sitae) an.

Wirksamkeit der Form nach eines Testaments

Nach common-law Prinzipien war das Recht der Belegenheit (lexr rei sitae)  insoweit allein maßgeblich. Heute wird diese Frage nach dem Wills Act 1963, welche den Wills Act 1861 ersetzte, geregelt, welche oben bereits dargestellt wurden.

Materielle Wirksamkeit des Testaments

Fragen der materiellen Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen (essential validity) richten sich uneingeschränkt nach dem Belegenheitsrecht (lex rei sitae). Im Hinblick auf Unterhalt aus dem Nachlass (support) gilt dies allerdings nicht.

Formelle Wirksamkeit des Widerrufs eines Testaments

Neben der Frage der Wirksamkeit der Errichtung regelt der Wills Act 1963 auch den Widerruf einer letztwilligen Verfügung (revocation) durch Errichtung eines Testaments (revocation by later will). Nach sec. 2 [1] [c] Wills Act 1963 kann der Testierende auch wirksam nach dem für die Errichtung maßgeblichen Recht widerrufen, auch wenn er zum Zeitpunkt des Widerrufes nicht mehr in dieser Form testieren konnte (z.B., weil er verzogen ist). Bei einem Widerruf durch Vernichtung  (revocation by destruction of the will) und Widerruf als Folge der Eheschließung (revocation by marriage) ist der Wills Act 1963 hingegen nicht anwendbar und es ist somit auf das Common Law zurück zu greifen. Bei einem Widerruf durch Vernichtung gilt das Recht des Domizils im Zeitpunkt des Widerrufs. Ein späterer Wechsel des Domizils ist irrelevant. Beim Widerruf als Folge der Heirat (z.B. nach englischem Eherecht), entscheidet das Recht des Domizils zum Zeitpunkt der Eheschließung.

Auslegung einer letztwilligen Verfügung

Es ist zu prüfen, was der wahre Wille des Testierenden war. Da der Testierende am stärksten mit dem Recht des Domizils vertraut ist, spricht eine Vermutung dafür, dass eine Auslegung nach dem Recht des Domizilrecht des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung seinen Willen am besten zur Geltung bringt. Erklärt der Erblasser z.B., dass „seine Erben“ ein Grundstück erhalten sollen, so spricht Alles dafür, dass dies die Personen sein sollen, die nach dem Recht seines Domizils bei gesetzlicher Erbfolge erben würden. Allerdings kann sich aus dem Inhalt des Testaments oder anderen Umständen auch Anderes ergeben. Verstößt das Ergebnis der Auslegung nach englischem Recht dem Recht des Belegenheitsstaates, geht allerdings auch nach englischer Rechtsauffassung das Belegenheitsrecht (lex rei sitae) vor.

Bestimmungsrecht (Powers of appointment)

Grundsatz

Nach dem Recht von England kann der Zuwender (donor) testamentarisch oder unter Lebenden (inter vivos) einen Bestimmungsberechtigten (donee oder appointer) bestimmen, die den Letztempfänger (appointee) bestimmt (Bestimmungsrecht). Wenn der Bestimmungsberechtigte uneingeschränkt eine Person seiner Wahl, insbesondere auch sich selbst, zum Letztempfänger (appointee) bestimmen kann, so spricht man von einem allgemeinen Bestimmungsrecht (general power of appointment). Ist der Bestimmungsberechtigte hingegen in seiner Wahl des Letztempfängers beschränkt (z.B. im Hinblick auf eine bestimmte Klasse von Personen), so spricht man von einem beschränkten Bestimmungsrecht (limited power of appointment). Hieraus ergeben sich eine Vielzahl von Problemen des internationalen Privatrechts. Ob das Bestimmungsrecht allgemein oder beschränkt ist, richtet sich nach dem Recht des Staates, das die Errichtung des Bestimmungsrechts regelt.

Testierfähigkeit

Im Hinblick auf die Testierfähigkeit des  Zuwender gelten die allgemeinen Regeln. Besondere Regeln finden hingegen im Hinblick auf die Frage, was insoweit für den Bestimmungsberechtigten gilt, Anwendung. Die Testierfähigkeit des Bestimmungsberechtigten wird immer bejaht, wenn Recht seines Domizils gewahrt wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine allgemeine oder besondere Vollmacht handelt. Ist das Recht des Domizils nicht gewahrt, so ist zwischen allgemeiner und besonderer Vollmacht zu unterscheiden. Bei der allgemeinen Vollmacht muss die Testierfähigkeit des Bestimmungsberechtigten auch nach dem Recht seines Domizils gegeben sein, während bei der besonderen Vollmacht Testierfähigkeit seines Domizils oder des Domizils des Erblassers genügt (str.).

Wirksamkeit der Form nach

Eine Benennung, welche in einer nach dem Wills Act 1963 zulässigen Form erfolgt, ist stets formell wirksam. Außerdem ist die Benennung wirksam, wenn sie dem für die materielle Wirksamkeit (essential validity) der Errichtung der Vollmacht maßgeblichen Recht entspricht.

Materielle Wirksamkeit 

Bei der Klärung der materiellen Wirksamkeit der Ausübung eines Bestimmungsrechts ist zwischen der allgemeinen Vollmacht und der besonderen zu unterscheiden. Bei einer Ausübung des Bestimmungsrechts auf der Grundlage einer besonderen Vollmacht ist auf das für die Errichtung der Vollmacht anzuwendende Recht abzustellen.

Die Benennung auf der Grundlage einer allgemeinen Vollmacht muss dem Recht des Domizils des Bestimmungsberechtigten zum Zeitpunkt der Benennung genügen (str.).

Formelle Wirksamkeit des Widerrufs 

Ein testamentarisches Bestimmungsrecht kann bei beweglichem Vermögen nach dem Recht des Domizils des Zuwenders widerrufen werden. Die Errichtung eines neuen Testaments, welches nach dem Wills Act 1963 wirksam ist, führt bei beweglichem und unbeweglichem Nachlass zum wirksamen Widerruf des Bestimmungsrechts. Gemäß sec. 2 (1) (d) des Wills Act 1963, ist ein wirksam errichtetes Testament, soweit es ein Bestimmungsrecht enthält, insoweit wirksam, als es nach dem für die materielle Wirksamkeit maßgeblichen Recht wirksam errichtet wurde. Dies gilt allerdings nicht für ein Testament, welches lediglich das Bestimmungsrecht widerruft. Schließlich kann ein Testament durch Heirat gemäß dem Recht des Domizils zum Zeitpunkt der Heirat widerrufen werden. Wurde die Ehe allerdings geschlossen, als der Verfügende sein Domizil in England hatte, ist nach sec. 18 (2) Wills Act 1837 ist die Ausübung des Bestimmungsrechts trotz der Scheidung wirksam, sofern die fehlende Ausübung des Rechtes nicht zu einem Anfall beim Nachlassverwalter führen würde.  

Auslegung

Im Grundsatz gelten die allgemeinen Regeln. Kennt das auf die Auslegung nach diesen Regeln anzuwendende Recht eines anderen Staates aber nicht das Rechtsinstitut des Bestimmungsrechts, so ist insoweit auf englisches Recht abzustellen, um den wahren Willen des Erblassers zu ermitteln. 

Rückverweisung

Verweist das Kollisionsrecht von England und Wales auf ein anderes Recht, z.B. weil das Domizil des Erblassers im Ausland war, ist das andere Recht so anzuwenden wie das ausländische Gericht dieses anwenden würde (foreign court doctrine). [9]

Nachlassabwicklung (Administration)

Im Hinblick auf die Nachlassabwicklung (administration) ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Nachlassabwickler seine Befugnisse erhält.[10]

Trusts

Für einen Trust (trust), der durch Testament (testamentary trust) oder zu Lebzeiten des Erblassers (living trust) errichtet wurde, gelten die Regelungen des Recognition of Trust Act 1987. Danach kann der Errichter (settlor) das anwendbare Recht wählen, sec. 6 Recognition of Trust Act 1987. Ist eine Rechtswahl nicht erfolgt, ist das Recht anzuwenden zu dem der Trust die engste Verbindung aufweist, sec. 7 Recognition of Trust Act 1987.

Anwachsungsrecht auf den Tod

Der Erwerb von Todes wegen über ein dingliches Anwachsungsrecht (joint tenancy) an unbeweglichen und beweglichen Sachen unterliegt dem Recht der Belegenheit.


[1] Frank/Atkinson, Die Ermittlung des anwendbaren Erbrechts im deutsch-britischen Erbfall, IWB Nr. 18 vom 25.09.2015 Seite 697.

[2]  Chesire, North & Fawcett, Private International Law, 15. Aufl., London 2017, S. 1252.

[3] Chesire, North & Fawcett, a.a.O. S. 1339.

[4] Price v Dewhurst (1838) 4 My. & Cr. 76, 82).

[5] Chesire, North & Fawcett, a.a.O. S. 1340.

[6] Chesire, North & Fawcett, a.a.O. S. 1339.

[7] Chesire, North & Fawcett, a.a.O. S. 1339; Morris v Davies & ors [2011] EWHC 1773 (Ch).

[8] Chesire, North & Fawcett, a.a.O. S. 1351.

[9] Dicey, Morris and Collins, Rn 4-001 ff.; Re Annesley, [1926] Ch. 692, Re Ross, [1930] 1 Ch. 377; Re Askew, [1930] 2 Ch. 259, Re O'Keefe, [1940] Ch. 124; Re Duke of Wellington, [1947] Ch. 506.

[10] Chesire, North & Fawcett, a.a.O. S. 1334.