Internationales Erbrecht (IPR) - Liechtenstein

Liechtenstein

Auszug aus dem Gesetz vom 19. September 1996 über das internationale Privatrecht (IPRG)

I. Allgemeine Bestimmungen

Art. 1
Grundsatz des internationalen Privatrechts
1) Sachverhalte mit Auslandsberührung sind in privatrechtlicher Hinsicht nach der Rechtsordnung zu beurteilen, die in diesem Gesetz oder einer anderen Rechtsvorschrift bezeichnet wird (Verweisungsnorm).
2) Mangels einer Verweisungsnorm ist die Rechtsordnung massgebend, zu der der Sachverhalt die stärkste Beziehung hat.

Art. 2
Ermittlung der für die Anknüpfung massgebenden Voraussetzungen
Die für die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen sind von Amts wegen festzustellen, soweit nicht nach verfahrensrechtlichen Vorschriften in einem der Rechtswahl zugänglichen Sachgebiet (Art. 20, 29 Abs. 3, Art. 39 Abs. 1) tatsächliches Parteivorbringen für wahr zu halten ist.

Art. 3
Anwendung fremden Rechts
Ist fremdes Recht massgebend, so ist es von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden.

Art. 4
Ermittlung fremden Rechts
1) Das fremde Recht ist von Amts wegen zu ermitteln. Zulässige Hilfsmittel hiefür sind auch die Mitwirkung der Beteiligten, Auskünfte der Regierung und Sachverständigen-Gutachten.
2) Kann das fremde Recht trotz eingehendem Bemühen innerhalb angemessener Frist nicht ermittelt werden, so ist das liechtensteinische Recht anzuwenden.

Art. 5
Sachnormverweisung; Rückverweisung
1) Ist fremdes Recht massgebend, so sind dessen Sachnormen anzuwenden (Rechtsnormen mit Ausnahme der Verweisungsnormen). Dies gilt nicht, wenn die Verweisungsnormen des fremden Rechtes das liechtensteinische Recht für massgebend erklären; in diesem Fall sind die Sachnormen des liechtensteinischen Rechts anzuwenden (Rückverweisung).
2) Besteht eine fremde Rechtsordnung aus mehreren Teilrechtsordnungen, so ist die Teilrechtsordnung anzuwenden, auf die die in der fremden Rechtsordnung bestehenden Regeln verweisen. Mangels solcher Regeln ist die Teilrechtsordnung massgebend, zu der die stärkste Beziehung besteht.

Art. 6
Vorbehaltsklausel
Eine Bestimmung des fremden Rechts ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der liechtensteinischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des liechtensteinischen Rechts anzuwenden.

Art. 7
Statutenwechsel
Die nachträgliche Änderung der für die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung massgebenden Voraussetzungen hat auf bereits vollendete Tatbestände keinen Einfluss.

Art. 8
Form
Die Form einer Rechtshandlung ist nach demselben Recht zu beurteilen wie die Rechtshandlung selbst; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Staates, in dem die Rechtshandlung vorgenommen wird.

Art. 9
Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt
Im Sinne dieses Gesetzes hat eine natürliche Person:
a) ihren Wohnsitz an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält;
b) ihren gewöhnlichen Aufenthalt an dem Orte, wo sie während längerer Zeit lebt, selbst wenn diese Zeit zum vornherein befristet ist.

Art. 10
Personalstatut einer natürlichen Person
1) Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch das liechtensteinische Landesbürgerrecht, so ist dieses massgebend. Für andere Mehrstaater ist die Staatsangehörigkeit des Staates massgebend, zu dem die stärkste Beziehung besteht.
2) Ist eine Person staatenlos oder kann ihre Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden, so ist ihr Personalstatut das Recht des Staates, in dem sie den gewöhnlichen Aufenthalt hat.
3) Das Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Liechtenstein geltenden internationalen Übereinkommen ist oder deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, ist das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechts auf das Recht des Heimatstaates ist unbeachtlich.

Art. 11
Rechtswahl
1) Eine Rechtswahl der Parteien (Art. 20, 29 Abs. 3 und Art. 39 Abs. 1) bezieht sich im Zweifel nicht auf die Verweisungsnormen der gewählten Rechtsordnung.
2) Eine erst in einem anhängigen Verfahren getroffene Rechtswahl ist nur beachtlich, wenn sie ausdrücklich getroffen worden ist.
3) Die Rechtsstellung Dritter wird durch eine nachträgliche Rechtswahl nicht beeinträchtigt.

IV. Erbrecht

Art. 29
Rechtsnachfolge von Todes wegen
1) Die Rechtsnachfolge von Todes wegen ist nach dem Personalstatut des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes zu beurteilen.
2) Wird eine Verlassenschaftsabhandlung von einem liechtensteinischen Gericht durchgeführt, so ist die Rechtsnachfolge von Todes wegen vorbehaltlich Abs. 3 und 4 nach liechtensteinischem Recht zu beurteilen.
3) Der ausländische Erblasser kann durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag seine Rechtsnachfolge einem seiner Heimatrechte oder dem Recht des Staates seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltes unterstellen.
4) Der inländische Erblasser mit Wohnsitz im Ausland kann durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag seine Rechtsnachfolge einem seiner Heimatrechte oder dem Recht des Staates seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltes unterstellen.

Art. 30
Gültigkeit einer Verfügung von Todes wegen
1) Die Testierfähigkeit und die sonstigen Erfordernisse für die Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung, eines Erbvertrags oder eines Erbverzichtsvertrags sind gegeben, wenn die Gültigkeitserfordernisse eines der folgenden Rechte erfüllt sind:
a) eines der Heimatrechte des Erblassers im Zeitpunkt der Rechtshandlung oder im Zeitpunkt seines Todes;
b) des Rechts des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt der Rechtshandlung oder im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte;
c) des liechtensteinischen Rechts, sofern die Verlassenschaftsabhandlung vor einem liechtensteinischen Gericht durchgeführt wird.
2) Für den Widerruf bzw. die Aufhebung dieser Rechtshandlungen gilt der Abs. 1 sinngemäss.